Ruth Stoltenberg Fotografie
ODERBRUCH ist ein fotografisches Projekt entlang der rund 460 Kilometer langen Oder-Neiße-Grenze – jener stillen, zugleich schwer beladenen Linie zwischen Deutschland und Polen. Seit ihrer Festlegung nach dem Zweiten Weltkrieg markiert sie mehr als nur eine geografische Trennung: Sie ist bis heute eine Nahtstelle Europas – einst Symbol der Teilung zwischen Ost und West, heute ein Ort der Erinnerung, des Verlusts und der Annäherung.
Dörfer und Städte beiderseits des Flusses tragen sichtbare Spuren von Brüchen und Übergängen, von Migration, Wandel und dem Versuch, neu anzukommen. Was einst trennte, ist heute vielfach durchlässig geworden. Der Grenzraum hat sich zu einem wichtigen Wirtschaftsraum entwickelt – geprägt von Industrie, Handel und einem regen Pendelverkehr, gefördert durch Preisunterschiede besonders im Dienstleistungs- und Einzelhandelsbereich. Viele Menschen leben auf der einen Seite und arbeiten auf der anderen, ihre Lebenswelten greifen ineinander, ohne sich ganz anzugleichen. Besonders in den geteilten Städten, deren Stadtgebiete sich auf beide Seiten der Grenze erstrecken, zeigt sich, wie selbstverständlich Austausch und Zusammenarbeit heute geworden sind.
Die Fotografien halten diese Übergänge fest – und die Unterschiede, die trotz aller Annäherung bestehen bleiben. Beim Grenzübertritt zeigen sich Kontraste in Architektur, Infrastruktur und Atmosphäre: Während viele Orte auf deutscher Seite aufgeräumt und zurückhaltend wirken, zeigt sich auf polnischer Seite oft ein lebendigeres, aber weniger saniertes Stadtbild. Werbetafeln, Straßenschilder, Farben und Materialien erzählen von unterschiedlichen politischen Vergangenheiten und wirtschaftlichen Entwicklungen.
Die Serie lädt dazu ein, über Zugehörigkeit, Identität und das fragile Gleichgewicht zwischen Nähe und Fremdheit, zwischen Vergangenheit und der möglichen Zukunft nachzudenken.
_____________________________________________
ODERBRUCH is a photographic project along the approximately 460-kilometre-long Oder-Neisse border - that silent, yet heavily laden line between Germany and Poland. Since its demarcation after the Second World War, it has marked more than just a geographic divide: to this day, it is a European interface - once a symbol of division between East and West, today a place of remembrance, loss and rapprochement.
Villages and towns on both sides of the river bear visible traces of ruptures and transitions, of migration, change and the attempt to arrive anew. What once separated has now become permeable in many cases. The border region has developed into an important economic area - characterised by industry, trade and lively commuter traffic, encouraged by price differences, particularly in the service and retail sectors. Many people live on one side and work on the other, their living environments intertwine without completely harmonising. Particularly in the divided cities, whose urban areas extend to both sides of the border, it becomes clear how natural exchange and co-operation have become today.
The photographs capture these transitions - and the differences that remain despite all the rapprochement. When crossing the border, contrasts in architecture, infrastructure and atmosphere become apparent: while many places on the German side appear tidy and reserved, the Polish side often has a more lively but less redeveloped cityscape. Billboards, street signs, colours and materials tell of different political pasts and economic developments.
The series invites us to reflect on belonging, identity and the fragile balance between closeness and foreignness, between the past and the possible future.
©Ruth Stoltenberg / All rights reserved